Zeitliche Abstimmung beim Blattwachstum
 

7. Februar 2024

Als Heteroblastie bezeichnet man das faszinierende natürliche Phänomen, bei dem Pflanzen im Laufe ihrer Entwicklung unterschiedlich geformte Blätter ausbilden. Dies erfordert ein komplexes Zusammenspiel zwischen zellulärem Wachstum und Zeit und ermöglicht es einer einzigen Pflanze, im Laufe ihres Lebens ein breites Spektrum an Blattformen und -größen zu entwickeln. Forschende am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln haben nun diesen komplizierten Prozess der Blattentwicklung in der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana entschlüsselt. Die Studie wurde in der Zeitschrift Current Biology veröffentlicht.

 

Indem sie die Entwicklung von Blättern in verschiedenen Entwicklungsstadien der Pflanze untersuchten, identifizierten sie wesentliche Unterschiede in den zellulären Wachstumsmustern von juvenilen und adulten Blättern, die durch ein SPL9-CYCD3-Transkriptionsmodul gesteuert werden. Diese Ergebnisse vermitteln uns ein tieferes Verständnis dafür, wie das Verstreichen von Zeit in Organwachstum und Morphogenese kodiert wird, und zeigen das komplexe Tempo von Pflanzenwachstum und -entwicklung.

Bei vielen Pflanzenarten ändern sich Größe und Form der Blätter, je nachdem, wie alt die Pflanze zu Beginn des Wachstums eines jeden Blattes ist. Dieser Prozess wird als Heteroblastie bezeichnet. Bei der weit verbreiteten Modellpflanze Arabidopsis beispielsweise sind die frühen Blätter kleiner und runder als die Blätter, die sich später entwickeln. Ein interdisziplinäres Forschungsteam unter der Leitung von Miltos Tsiantis aus der Abteilung Vergleichende Entwicklungsgenetik hat sich zum Ziel gesetzt die zellulären und molekularen Mechanismen hinter diesem Phänomen zu verstehen. Tsiantis stellt fest: "Wir wissen zwar viel über die räumliche Steuerung der Entwicklung, aber weitaus weniger darüber, wie die Zeit in diese komplexen Prozesse eingebunden ist".

In dieser neuen Studie wurden fortschrittliche Techniken eingesetzt, darunter Zeitrafferaufnahmen, Kartierung der Entwicklung individueller Zellen durch Live-Bildgebung, computergestützte Modellierung und genetische Studien. Ihre Ergebnisse zeigen ein nuanciertes Bild der zeitlichen Dynamik des Pflanzenwachstums, das die gängige Vorstellung von Pflanzen als statische Einheit in Frage stellt.

Am auffälligsten war die Erkenntnis der Forschenden, dass es während des Wachstums des juvenilen Arabidopsis-Blattes zu einem "Schub" der Zellteilung kommt, welche abrupt stoppt und von schneller Zellexpansion gefolgt wird. "Die Entwicklung der Ackerschmalwand ist sehr gut erforscht", erklärt der Erstautor Xin-Min Li, "daher war es unglaublich aufregend, ein neues Merkmal zu entdecken, das nur dank der Fortschritte möglich war, die wir bei der Bildgebung und den Computeranalysen gemacht haben. Dieser Zellteilungsschub – und sein abruptes Ende – bewirkt, dass junge Blätter weniger Zellen enthalten und im Vergleich zu erwachsenen Blättern relativ klein und rund sind. Mit zunehmender Reife der Pflanze ändert sich dieses Wachstumsmuster, wobei die Zellproliferation in den später entstehenden Blättern weniger stark ausgeprägt ist, dafür aber über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten wird. Dies führt zur Bildung größerer, länglicher Blätter bei älteren Pflanzen.

Auf der Grundlage dieser neu gewonnenen Erkenntnisse über die unterschiedlichen Wachstumsmuster juveniler und adulter Blätter konnte das Forschungsteam um Xin-Min Li einen Transkriptionsfaktor, SPL9, als Schlüsselfaktor bei der Steuerung altersabhängiger Veränderungen der Blattform identifizieren. Transkriptionsfaktoren wie SPL9 wirken wie Schalter - sie schalten andere Gene ein oder aus, um die Aktivität von Zellen zu regulieren. Während der Blattentwicklung fand die Forschergruppe heraus, dass SPL9 sowohl auf das Alter des Pflanzentriebs als auch auf das Reifestadium der einzelnen Blätter reagiert, indem es Gene der CyclinD3-Familie (die wichtige Regulatoren des Zellzyklus sind) anschaltet. Auf diese Weise bewirkt SPL9, dass sich die Blattzellen länger in einem Zustand befinden in dem sie sich teilen können, was sich in einer Art Dominoeffekt letztendlich auf die Gesamtform und -struktur des Blattes auswirkt. Mit einer Reihe komplizierter genetischer Experimente konnten die Forschenden dann nachweisen, dass die CyclinD3-Gene selbst ausreichen, um die Blattform zu steuern und das Zellwachstum neu zu programmieren, selbst wenn SPL9 nicht vorhanden ist. Auf der Grundlage dieser Daten konnten sie dann ein genetisches SPL9-CYCD3 Regulierungsmodul als Schlüsselfaktor für die Blattheteroblastie identifizieren.

Diese neuen Erkenntnisse über die genetische Kontrolle der Heteroblastie helfen uns nicht nur, das Pflanzenwachstum besser zu verstehen, sondern sie zeigen auch, wie die Natur die Zeit für das Wachstum und die Morphogenese von Organen kodieren kann. Indem sie Ereignisse, die auf zellulärer Ebene stattfinden, mit ihren Auswirkungen auf den gesamten Organismus im Laufe der Zeit in Verbindung bringen, gehen Tsiantis und sein Team Fragen an, die Forschende seit Jahrzehnten beschäftigen. Das Verständnis der zeitlichen Regulierung der Blattentwicklung geht über den Bereich der Grundlagenforschung hinaus und birgt auch großes Potenzial für praktische Anwendungen in der Landwirtschaft. Mit Blick auf die Zukunft meint Tsiantis:

"Da juvenile und adulte Blätter sehr unterschiedliche physiologische Funktionen und photosynthetische Aktivitäten haben können, erhalten wir durch die Entschlüsselung der molekularen Hinweise, die das Wachstumsmuster und die Form der Blätter bestimmen, Werkzeuge, die für die Verbesserung von Kulturpflanzen und nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken genutzt werden können".

 

 

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