Die Kunst des Gleichgewichts – ein Balanceakt der pflanzlichen Immunantwort

Eine Studie in Nature beschreibt einen neuartigen Regelungsmechanismus, der die Immunreaktionen von Pflanzen in Schach hält.

12. Juni 2024

Eine neue Studie unter der Leitung von Jijie Chai von der Westlake University in China und Paul Schulze-Lefert vom Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln hat gezeigt, dass entscheidende pflanzliche Immunmoleküle sich untereinander in einen Verbund verpacken und auf diese Weise vor unerwünschter Aktivierung geschützt werden

Das Immunsystem eines jeden Organismus muss ausreichend empfindlich sein, um angemessen auf mikrobielle Krankheitserreger wie Bakterien oder Pilze zu reagieren. Allerdings darf es nicht so empfindlich sein, dass es ständig oder unbeabsichtigt aktiviert wird und somit die eigenen Zellen angreift - die sogenannte Autoimmunität.

In der pflanzlichen Immunität führt die Erkennung mikrobieller Krankheitserreger durch pflanzliche Immunrezeptoren häufig zu einer kontrollierten Form des Zelltods, der auf den Ort der Infektion begrenzt ist. Dieser Zelltod erfüllt seinen Zweck, wenn das Ausmaß der Reaktion der Bedrohung angemessen ist. Doch wie sorgen Pflanzen dafür, dass diese Selbstmordreaktion nicht außer Kontrolle gerät und der Pflanze Schaden zufügt? Forschende haben jetzt eine Antwort auf diese Frage gefunden.

Pflanzliche Immunrezeptoren werden in aller Regel ungewollt aktiviert, wenn sie in großen Mengen in Pflanzenzellen produziert werden. Die Nachtschattengewächse, zu denen viele landwirtschaftlich wichtige Nutzpflanzen wie Tomaten und Kartoffeln gehören, verfügen über eine Gruppe von Immunrezeptoren, die ständig in großen Mengen produziert werden, jedoch inaktiv bleiben und keine Autoimmunität auslösen. Um herauszufinden, warum diese Proteine, obwohl in großen Mengen vorhanden, inaktiv sind, produzierten und reinigten die Wissenschaftler:innen ein Mitglied dieser Proteinfamilie und analysierten sein Gewicht. Die Analyse gab den Forschenden Einblicke in die strukturellen Merkmale des Proteins und zeigte, dass die Moleküle inaktive Verbünde aus zwei, vier oder sogar mehr Einzelmolekülen mit dann fadenförmiger Struktur bilden. Diese geordneten Verbünde sind für den Balanceakt von angemessener und unerwünschter Aktivierung verantwortlich, denn wenn der Verbund des Rezeptors gestört wird, wird der Zelltod stärker als notwendig in Gegenwart eines viralen Proteins ausgelöst.

Abgesehen von dem Mechanismus der Selbstverpackung in Rezeptorverbünde ergab die Studie der Autoren noch ein weiteres auffälliges Merkmal: jeder einzelne Immunrezeptor ist an ein kleines Molekül, ein Inositolphosphat, gebunden, das für die Aktivierung des Rezeptors und die Zelltodreaktion unverzichtbar ist. Inositolphosphate gibt es in verschiedenen Varianten und wurden bereits vor mehr als 15 Jahren mit der pflanzlichen Abwehr gegen Krankheitserreger in Verbindung gebracht. Unklar war jedoch, wie und wo diese winzigen Moleküle in den Pflanzenzellen wirken. Jetzt gibt es eine Antwort, denn die Forschenden konnten nachweisen, dass alle Mitglieder der Immunrezeptorfamilie in Nachtschattengewächsen, die ständig in hoher Konzentration vorhanden sind, die Eigenschaft haben, Inositolphosphate zu binden. 

Warum also stellen Pflanzen bestimmte Immunrezeptoren in so hohen Konzentrationen ständig bereit? Eine mögliche Erklärung ist, dass dies ein grundlegender Mechanismus der Pflanzen ist, um unmittelbar auf eine Infektion reagieren zu können.

Auch bei Tieren, einschließlich des Menschen, wurde beobachtet, dass strukturverwandte Immunrezeptoren geordnete Verbünde bilden, um Autoimmunantworten zu unterbinden. Es scheint sich also um eine universelle Strategie zu handeln, den Balanceakt der Immunantwort von Pflanzen und Tieren im Gleichgewicht zu halten.

Paul Schulze-Lefert fasst zusammen: „Die Selbstverpackung von Immunrezeptoren im Inneren von Zellen ist ein eleganter Weg der Natur, um eine schnelle Immunantwort ohne das Risiko einer Autoimmunität zu gewährleisten“.

 

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