Molekulare Diagnose komplexer Eigenschaften in Nutzpflanzen.

Forschungsbericht (importiert) 2003 - MPI für Pflanzenzüchtungsforschung

Autoren
Gebhardt, Christiane
Abteilungen
Pflanzenzüchtung und Genetik (Prof. Dr. Maarten Koornneef)
MPI für Pflanzenzüchtungsforschung, Köln
Zusammenfassung
Genetische Variabilität und Umweltfaktoren bestimmen die Erscheinungsform von Individuen einer Art. Die Möglichkeiten, genetische Variabilität auf der Ebene der DNA zu identifizieren, die Verfügbarkeit von teilweiser oder sogar vollständiger DNA-Sequenzinformation verschiedenster Organismen und das Wissen um die Funktionsweise vieler Gene ermöglichen es, die molekularen Grundlagen komplexer Eigenschaften von Mensch, Tier oder Pflanze zu erforschen. Das Wissen um die molekularen Grundlagen komplexer Eigenschaften von Nutzpflanzen kann zur effizienten Auslese neuer, an die menschlichen Bedürfnisse besser angepasster Sorten beitragen. In einem Pilotexperiment wurde eine Beziehung zwischen der Widerstandsfähigkeit von Kartoffelsorten im Feld gegen die Kraut- und Knollenfäule und DNA-Varianten in einem bestimmten Abschnitt des Erbguts der Kartoffel (Solanum tuberosum) gefunden.

Aus naturwissenschaftlicher Sicht sind die Erscheinungsformen des Lebendigen, der Phänotyp, das Ergebnis der Wirkung von genetischen Faktoren einerseits und von Umwelteinflüssen andererseits. Obwohl alle Individuen derselben Art die gleiche genetische Ausstattung, das gleiche Erbgut, besitzen, sind sie doch genetisch nicht identisch. Das Erbgut jedes mehrzelligen Organismus enthält Zehntausende von Genen. In einer natürlichen Population von Individuen derselben Art kann jedes einzelne dieser Gene in mehreren, funktionstüchtigen Varianten (Allelen) in unterschiedlicher Häufigkeit vorkommen. Diese genetische Variabilität ist das Ergebnis zufälliger Mutationsereignisse im Verlauf der Evolution der Arten, die für ihre Träger keinen selektiven Nachteil bedeuteten, daher weitervererbt wurden und somit in der Population erhalten geblieben sind. Die genetische Einzigartigkeit des Individuums, der Genotyp, kommt durch die zahllosen Kombinationsmöglichkeiten aller im Erbgut vorhandenen Gen-Varianten zustande, die in jeder Generation nach den Vererbungsregeln neu kombiniert werden. Die zeitliche und räumliche Ausprägung dieser individuellen "Gen-Mixtur" wird von Umweltfaktoren unterschiedlich beeinflusst. Dieser Sachverhalt wird deutlich, wenn man eine zufällige Gruppe von Menschen (Homo sapiens) betrachtet, deren individuelle Verschiedenheit bei prinzipiell gleichem Bauplan nicht größer sein könnte.

Während die molekulare Entwicklungsgenetik die Funktionsweise der Gene von Tieren, Pflanzen oder Mikroorganismen und deren Abhängigkeit von Umweltfaktoren untersucht, beschäftigt sich die quantitative Genetik bzw. die Populationsgenetik mit der Frage, welchen Anteil genetische Faktoren an der Ausprägung des Phänotyps haben, wie viele und welche Gene bestimmte, in der Regel komplexe Eigenschaften kontrollieren und welchen Einfluss Varianten dieser Gene auf diese Eigenschaften in einer Population von Individuen derselben Art haben. Der Einfluss der Umwelt auf den Phänotyp wird hierbei mithilfe statistischer Methoden soweit wie möglich ausgeschaltet. Die experimentellen Möglichkeiten, genetische Variabilität auf der Ebene der DNA (Desoxy-Ribonucleic Acid) zu identifizieren (Abb.1), die Verfügbarkeit der DNA-Sequenzinformation von Millionen von Genen verschiedenster Organismen bzw. von vollständigen Genomen und das Wissen um die Funktionsweise vieler Gene machen es heute erstmals möglich, die Frage nach den molekularen Grundlagen komplexer Eigenschaften von Mensch, Tier oder Pflanze mit Aussicht auf Erfolg anzugehen.

Genetische Variabilität ist die Grundlage der Züchtung von Nutzpflanzen und Nutztieren durch den Menschen. Durch Kreuzung von Elternpaaren mit unterschiedlichen Eigenschaften wird eine breite Palette von neuen "Gen-Mixturen" in den Nachkommen erzeugt. Unter diesen werden dann durch wiederholte Prüfung des Phänotyps die Genotypen ausgelesen, deren Eigenschaften den Anforderungen der jeweiligen menschlichen Gesellschaft und des Marktes entsprechen, für die sie erzeugt werden. Diese Eigenschaften sind meist komplex, d. h. sie sind durch eine unbekannte Anzahl von Genen und durch Umweltfaktoren bestimmt. Beispiele dafür in der Pflanzenzüchtung sind der Ertrag, Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und Schädlinge, Qualitäts- und Verarbeitungseigenschaften. Der Ausleseprozess ist umso langwieriger und kostspieliger, je schwieriger es ist, die genetische von der umweltbedingten Variabilität zu unterscheiden. In der Pflanzenzüchtung entstehen als Ergebnis dieses Ausleseprozesses Zuchtlinien und Sorten, von denen einige manchmal über Jahrzehnte angebaut werden, wie zum Beispiel die beliebte Kartoffelsorte "Sieglinde" von 1935, während andere Sorten den Markt nie erreichen oder schnell wieder verschwinden. Sorten und Zuchtlinien von Nutzpflanzen sind genetische Unikate, die in Genbanken gesammelt und erhalten werden, damit sie künftigen Generationen zur Verfügung stehen und für Neuzüchtungen wieder verwendet werden können. Die Genbank des Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben, eine der weltweit größten ihrer Art, erhält zum Beispiel in Groß-Lüsewitz bei Rostock vegetativ 2200 Kartoffelsorten (Solanum tuberosum) und Zuchtklone aus vielen Ländern, deren Entstehung bis in das 19. Jahrhundert zurückreicht. Abbildung 2 zeigt einen Ausschnitt aus dem Stammbaum einiger Kartoffelsorten der letzten 100 Jahre. Daraus geht hervor, dass zwischen einer Sorte vom Ende des 19. Jahrhunderts und einer Sorte vom Ende des 20. Jahrhunderts 5 bis 6 Generationen liegen.

Das Wissen darüber, welche Gene Eigenschaften wie den Ertrag oder die Widerstandsfähigkeit gegen Schadorganismen kontrollieren und welche Gen-Varianten einen positiven oder negativen Einfluss auf eine Eigenschaft ausüben, könnte zur Entdeckung ungeahnter Schätze in Genbanken (ex situ), aber auch in natürlichen Pflanzenpopulationen (in situ) führen. Varianten bestimmter Gene könnten mithilfe molekulare Techniken wie der PCR ("Polymerase Chain Reaction") in Elternpflanzen nachgewiesen, in Kreuzungsprogrammen kombiniert und in den Nachkommen gezielt ausgelesen werden. Gen-Varianten, die sich positiv auf eine bestimmte Eigenschaft auswirken, könnten auch gentechnisch von einem Genotyp auf einen anderen übertragen werden.

In Zusammenarbeit mit Dr. Konrad Schüler, Kurator der IPK-Kartoffel-Genbank in Groß-Lüsewitz, wurde am MPI für Züchtungsforschung in Köln eine Pilotstudie durchgeführt zur Frage der Beziehung zwischen DNA-Variation und der komplexen Eigenschaft einer Nutzpflanze. Aus den Blättern von 600 Kartoffelsorten aus 39 Ländern wurde DNA isoliert. Die 600 Proben wurden dann auf DNA-Variantion in einer ganz bestimmten Region des Kartoffel-Erbguts untersucht. Diese Region zeichnet sich dadurch aus, dass hier mithilfe molekularer Marker genetische Faktoren lokalisiert worden sind, die die Widerstandsfähigkeit von Kartoffelpflanzen gegen verschiedene Krankheiten und Schädlinge beeinflussen (Abb. 3), unter Anderem gegen die Kraut- und Knollenfäule, die durch den Oomyzeten Phytophthora infestans (Abb. 4)verursacht wird. Für etwa 400 der genotypisierten Sorten standen Boniturnoten bezüglich der Widerstandsfähigkeit von Blättern und Knollen gegen die Kraut- und Knollenfäule zur Verfügung. Boniturnoten sind vergleichende Bewertungen von Eigenschaften unter Feldbedingungen, ganz ähnlich unseren Schulnoten, mit dem Unterschied, dass Pflanzen von 1 bis 9 benotet werden, nicht nur von 1 bis 6. Mit Boniturnoten werden die über mehrere Jahre hinweg ermittelten, wesentlichen Eigenschaften einer Sorte beschrieben. Mithilfe eines statistischen Tests wurde geprüft, ob Sorten mit einer bestimmten DNA-Variante im Mittel bessere Noten für ihre Widerstandsfähigkeit gegen die Kraut- und Knollenfäule erhalten hatten als Sorten, die diese DNA-Variante nicht besaßen. Dies war in der Tat der Fall. Allerdings konnte diese Beziehung (Assoziation) zwischen DNA-Variation und der Eigenschaft "Widerstandsfähigkeit im Feld gegen Kraut- und Knollenfäule" nicht auf ein einzelnes Gen eingegrenzt werden, sondern nur auf einen Abschnitt des Kartoffel-Erbguts, der mehrere Gene enthält. Das Problem, die Nadel im Heuhaufen zu finden, wurde immerhin dadurch vereinfacht, dass der Heuhaufen erheblich verkleinert werden konnte. Dieser interessante Abschnitt des Kartoffelgenoms wird derzeit molekular weiter untersucht, um das Gen oder die Gene und deren Varianten zu identifizieren, die für den beobachteten Phänotyp verantwortlich sind.

Literaturangaben:

[1] Gebhardt C, Valkonen JPT (2001) Organization of genes controlling disease resistance in the potato genome. Annu. Rev. Phytopathol. 39: 79-102.

[2] Gebhardt C, Ballvora A, Walkemeier B, Oberhagemann P, Schüler K (2004). Assessing genetic potential in germ plasm collections of crop plants by marker-trait association: a case study for potatoes with quantitative variation of resistance to late blight and maturity type. Mol. Breeding 13: 93-102.

[3] Świeżyński KM, Haynes KG, Hutten RCB, Sieczka MT, Watts P, Zimnoch-Guzowska E (1997) Pedigree of European and North-American potato varieties. Plant Breeding and Seed Science, Supplement to Vol. 41, No 1.

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