Tête-a-tête zwischen Pilz und Pflanze: Wie Mehltaupilze ihre Wirtspflanzen manipulieren
Forschungsbericht (importiert) 2005 - MPI für Pflanzenzüchtungsforschung
Wie Pflanzen und Tiere Eindringlinge erkennen
Generell sind Pflanzenzellen, wie auch tierische Zellen, in der Lage, zwischen „Selbst“ und „nicht-Selbst“ zu unterscheiden. Diese Erkennung erfolgt vermutlich durch Rezeptoren, die sich an der Peripherie (der Plasmamembran) der Zellen befinden. Die Rezeptoren erkennen die Anwesenheit von fremden Molekülen und aktivieren daraufhin eine intrazelluläre Signalkaskade, die die Zelle in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt und eine Reihe von Abwehrmechanismen auslöst. Dieses überlebenswichtige Erkennungssystem, auch als „angeborenes Immunsystem“ bezeichnet, ermöglicht es Pflanzen, sich gegen die Mehrzahl potenziell pathogener Mikroben erfolgreich zur Wehr zu setzen [3]. Im Laufe der Evolution ist es jedoch einigen Parasiten gelungen, diesen basalen Abwehrmechanismus zu umgehen oder zu unterdrücken, wodurch sie zu realen Pathogenen geworden sind, die eine Spezies kolonisieren und Krankheitssymptome verursachen können. Als Gegenmaßnahme gegen pathogene Mikroben hat sich dann bei Pflanzen häufig ein zweites, nachgeschaltetes Erkennungssystem auf der Basis so genannter Resistenzproteine entwickelt, die ganz gezielt die Anwesenheit dieser Pathogene erkennen. Üblicherweise werden durch das zweite Abwehrsystem in die Pflanzenzelle eingeschleuste Effektorproteine der Pathogene erkannt. Im Laufe der Evolution ist so in einigen Fällen ein regelrechter Wettlauf zwischen Schädling und Pflanze entbrannt, in dem das Pathogen versucht, seine Effektorproteine so zu verändern, dass sie nicht mehr von der Pflanzenzelle erkannt werden können, während die Pflanze danach strebt, mit diesen Veränderungen Schritt zu halten. Eine Konsequenz dieses Wettlaufes ist, dass häufig angepasste Paare aus Effektor- und Resistenzprotein ko-evolviert sind, die nur die Erkennung einer Subpopulation (so genannter „Rassen“ oder „Isolate“) des Pathogens erlauben. Diese Art der Krankheitsresistenz wird daher generell auch als „rassenspezifische Resistenz“ bezeichnet. Sie ist häufig mit einem programmierten Zelltod („Suizid“) der angegriffenen Pflanzenzelle verbunden, die das Weiterwachsen des Krankheitserregers verhindert, d.h. die attackierte Zelle „opfert“ sich gewissermaßen zum Wohle des Gesamtorganismus.
Mehltau – eine weit verbreitete und agronomisch relevante Pflanzenkrankheit
Echte Mehltaupilze gehören zur Klasse der Ascomyceten (Schlauchpilze) und stellen agronomisch relevante Phytopathogene dar, die weltweit jährlich immense Ernteverluste verursachen. Bekannte und von Landwirten, Gärtnern und Züchtern gefürchtete Vertreter sind z.B. der Mehltaupilz des Getreides, Blumeria graminis, der Rosenmehltau, Sphaerotheca pannosa, oder der Erreger des Mehltaus der Weinrebe, Uncinula necator. Mehltaupilze sind obligat biotrophe Parasiten, d.h. sie brauchen zur Vermehrung Wirtszellen lebender Pflanzen. Der größte Teil der Entwicklung, d.h. Hyphenwachstum und Sporulation, spielt sich bei Mehltaupilzen außerhalb der Pflanzenzellen auf der Blattepidermis ab. Ein essenzieller Schritt der Pathogenese ist jedoch der primäre Eintritt der Pilzspore in die pflanzliche Epidermiszelle, um dort das pilzliche Ernährungsorgan, das so genannte Haustorium, zu etablieren. Dieser Entwicklungsschritt beinhaltet ein Durchbrechen der Zellwand, was vermutlich mittels einer Kombination aus hydrostatischem Druck und dem Ausscheiden eines Cocktails lytischer Enzyme erreicht wird [6]. Wahrscheinlich ist, dass dieser drastische Eingriff in die pflanzliche Zellwand zusätzlich seitens des Pathogens von Maßnahmen zur Unterdrückung pflanzlicher Abwehrreaktionen, wie z.B. der Sekretion abwehrhemmender Effektorproteine, begleitet wird. Die genauen molekularen Mechanismen dieses bedeutungsvollen Schrittes pilzlicher Pathogenese sind jedoch derzeit sowohl auf pilzlicher wie auch auf pflanzlicher Seite noch weitgehend unverstanden.
Gerste-Mutanten mit einem Defekt im Mlo-Gen zeigen eine außergewöhnliche Mehltauresistenz
In kompatiblen, also zu Krankheitssymptomen führenden Interaktionen zwischen Mehltaupilzen und Pflanzen (z.B. zwischen Gerste und Blumeria graminis oder Arabidopsis thaliana und Golovinomyces orontii , Abb. 1), gelingt dem pilzlichen Eindringling typischerweise nur in ca. 70% aller Attacken der primäre Eintritt in die pflanzliche Wirtszelle. Dies deutet darauf hin, dass selbst in kompatiblen Interaktionen die Pflanze eine zellautonome - jedoch nur teilweise effektive – basale Resistenz aufweist, die auf der Aktivität des oben beschriebenen „angeborenen Immunsystems“ beruht.
Bestimmte Mitglieder der pflanzenspezifischen Mlo-Proteinfamilie spielen eine besondere Rolle beim Eintritt der Mehltaupilze in die Wirtszelle. Natürlich gezüchtete Mutanten der Gerste, die kein funktionstüchtiges Mlo-Protein aufweisen, sind vollständig resistent gegenüber den Angriffsversuchen aller Rassen (Isolate) des Gerste-Mehltaus: Die Versuche des Mehltaupilzes, in mutante Epidermiszellen einzudringen, scheitern allesamt im Stadium der versuchten Zellwandpassage. Diese Art der Resistenz ist aus drei Gründen außergewöhnlich: Zum einen ist sie, anders als die bereits oben erwähnte, durch Resistenzfaktoren vermittelte rassenspezifische Resistenz, gegen alle Isolate des Gerste-Mehltaus effektiv. Darüber hinaus funktioniert sie nicht durch die Anwesenheit eines Resistenzproteins, sondern durch die Abwesenheit eines funktionierenden Proteins, das normalerweise in Gerste vorhanden ist und dort vermutlich sogar eine wichtige Funktion ausübt. Zum Dritten hat sich, ebenfalls im Gegensatz zur rassenspezifischen Resistenz, diese Art der Immunität als dauerhaft im landwirtschaftlichen Einsatz erwiesen. Es wird daher vermutet, dass das Mlo-Protein einen pflanzlichen Kompatibilitätsfaktor darstellt, der für eine erfolgreiche Pathogenese des Mehltaupilzes unerlässlich ist. Dies erinnert z.B. an den Pathogenesemechanismus des Human Immundeficiency Virus (HIV), Erreger des AIDS-Syndroms, das zur erfolgreichen Infektion humaner Immunzellen die Anwesenheit bestimmter Oberflächenproteine dieser Zellen benötigt. Möglicherweise korrumpiert der Pilz im Falle der Gerste/Mehltau-Interaktion gezielt die Funktion des Mlo-Proteins zur effektiven Unterdrückung zellautonomer Abwehrmechanismen, die Teil des angeborenen Immunsystems sind [4].
Mehltauresistenz durch Genvervielfältigung
Mehltauresistente Mlo-Mutanten der Gerste wurden erstmals in den 1940er-Jahren isoliert und finden aufgrund ihrer effektiven und dauerhaften Resistenz seit ca. 25 Jahren breite Anwendung in der Landwirtschaft [1, 2]. So tragen in Mitteleuropa ca. 50% der derzeit angebauten Gerste-Kultivare diese Form der Resistenz. Hierbei finden überwiegend eine in der Natur vorkommende Mlo-Mutante sowie in geringerem Maße artifizielle, d.h. durch chemische oder Strahlenmutagenese erzeugte Mlo-Mutanten Verwendung. Erstere wurden ursprünglich in den 1930er-Jahren im äthiopischen Hochland entdeckt. Diese Region ist als eines der Zentren der Biodiversität der Gerste bekannt und weist eine Vielzahl morphologisch und genetisch unterschiedlicher Gerste-Spezies auf. Eine kürzlich erfolgte molekulare Analyse dieser ursprünglichen, als Mlo-11 bekannten mehltauresistenten Mlo-Mutante zeigte nicht wie üblich einen Defekt im Protein-kodierenden Bereich des Gens. Stattdessen stellte sich heraus, dass ein Abschnitt des Mlo-Gens inklusive seiner entsprechenden regulatorischen Bereiche („Promotor“) vielfach hintereinander wiederholt vorliegen. Dies führt anscheinend dazu, dass die ebenfalls vorhandene normale Kopie des Mlo-Gens nicht mehr ordnungsgemäß abgelesen werden kann, was zum Fehlen des Mlo-Proteins und damit letztendlich zur Resistenz führt [5]. Interessanterweise ist diese Vervielfältigung im Erbgut erst vor relativ kurzer Zeit, nämlich weniger als 10.000 Jahren, entstanden. Möglicherweise haben die Ur-Einwohner in Äthiopien bereits den Vorteil der Mehltauresistenz erkannt und zur Vermehrung dieser Mutante im äthiopischen Hochland beigetragen. Bei den genetischen Analysen wurde darüber hinaus gefunden, dass die genetische Vielfalt unserer in Europa kultivierten Gerstesorten im Vergleich zu Wildgerste äußerst gering ist [5].
Ist Mlo-vermittelte Resistenz auf Gerste beschränkt?
Obwohl Mlo-bedingte Mehltauresistenz in Gerste bereits vor mehr als 60 Jahren beschrieben wurde und seit 25 Jahren intensiv genutzt wird [1, 2], war bis vor kurzem keine Pflanzenspezies oder –mutante mit einer ähnlich effektiven Immunität gegenüber Mehltau bekannt. Dies führte zu der Annahme, dass Mlo-Resistenz ein Gerste-spezifisches Phänomen ist. Genetische Studien mit der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), einer im Gegensatz zur Gerste zweikeimblättrigen Pflanze, zeigten jedoch kürzlich, dass Mehltauresistenz auf Grund des Wegfalls eines Mlo-Gens auch in dieser für Wissenschaftler als Modellpflanze dienenden Spezies funktioniert. Allerdings muss in Arabidopsis gleich die Funktion von drei Mlo-Genen ausfallen, um vollen Schutz gegenüber dem Pathogen zu gewährleisten. Dieses auch als „genetische Redundanz“ bezeichnete Phänomen erklärt möglicherweise, warum Mlo-Resistenz bislang noch nicht in mehr Pflanzenarten gefunden wurde. Die Tatsache, dass die durch den Wegfall von Mlo bedingte Immunität sowohl in einkeimblättrigen Pflanzen (Gerste) wie auch in zweikeimblättrigen Pflanzen (Arabidopsis) funktioniert, deutet darauf hin, dass der Pathogenesemechanismus der entsprechenden Mehltaupilze mindestens seit der phylogenetischen Aufspaltung von ein- und zweikeimblättrigen Pflanzen (vor ca. 200 Millionen Jahren) konserviert ist. Dieser Befund zeigt ferner, dass es prinzipiell möglich sein sollte, Mlo-resistente Mutanten in jeder höheren Pflanzenspezies zu erzeugen. Vor dem Hintergrund von ca. 500 weltweit verbreiteten Mehltauarten und der hohen agronomischen Relevanz dieser Pathogene ist dies eine äußerst wichtige Erkenntnis.
Was macht das Mlo-Protein und warum sind Mlo-Mutanten resistent gegen Mehltau?
Obwohl die oben genannten Fragen derzeit noch nicht abschließend beantwortet werden können, geben kürzlich erworbene Erkenntnisse doch erste Aufschlüsse zur Klärung dieser Rätsel. Genetische Analysen haben gezeigt, dass ein weiteres Protein, ein so genanntes Syntaxin, essenziell für Mlo-vermittelte Resistenz ist. Syntaxine sind Proteine, die an intrazellulären Transportprozessen mittels Vesikeln (kleinen membranumschlossenen Transportkompartimenten) beteiligt sind. Daraus kann man schließen, dass intrazelluläre Transportprozesse, möglicherweise von giftigen Pflanzenstoffen zum Ort des Angriffs, zur Mlo-vermittelten Resistenz beitragen. Da die Resistenz nur aktiv ist, wenn kein funktionales Mlo-Protein in der Pflanze vorhanden ist, kann man ferner spekulieren, dass der Mehltaupilz das Mlo-Protein benutzt, um derartige Transportprozesse zu unterbinden. Diese Vermutung wird durch die Tatsache gestützt, dass Mlo und Syntaxin an der zellulären Plasmamembran miteinander interagieren. Dieser Befund lässt die Vermutung zu, dass Mlo ein Regulator dieser Transportprozesse an der Zellperipherie ist. Ist das Mlo-Protein vorhanden, so wie in normalen (Wildtyp) Gerstepflanzen, kann der Pilz möglicherweise die Abwehr unterdrücken oder zumindest solange verzögern, bis es ihm gelungen ist, in die Pflanzenzelle einzudringen. Fehlt das Mlo-Protein hingegen, so wäre dem Pilz nach diesem Modell die Grundlage für eine derartige Manipulation entzogen. Als Folge kann sich die Pflanze ungestört wehren und so den Eindringling erfolgreich bekämpfen. Obwohl diese Hypothese auf Basis der vorliegenden Daten plausibel erscheint, ist noch weitere Arbeit nötig, um die molekularen Prozesse beim Zelleintritt biotropher Pilze und die damit einhergehende Unterdrückung der pflanzlichen Abwehr im Detail zu verstehen. Es besteht jedoch die berechtigte Hoffnung, dass uns dieses Wissen der molekularen Pflanze-Pathogen Interaktionen in Zukunft helfen wird, Pflanzenkrankheiten gezielter und mit weniger Chemie zu bekämpfen.