Züchtungsforschung in Zeiten des Klimawandels
Forschungsbericht (importiert) 2008 - MPI für Pflanzenzüchtungsforschung
Klimawandel
Schon heute erleben wir im Zusammenhang mit dem Klimawandel eine Häufung extremer Witterungsbedingungen. Die weltweite Agrarproduktion ist diesen extremen Wetterereignissen unmittelbar ausgesetzt. Inzwischen prognostizieren globale Klimamodelle eine Erderwärmung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um etwa 2 – 5 oC und eine Zunahme von Hitzewellen, Dürrezeiten, Hochwasser und Starkniederschlägen. Besonders stark betroffen sind die Entwicklungsländer in Sub-Sahara-Afrika und Asien, wo die Ernteerträge nach Berechnungen des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change; IPCC) bis 2020 um die Hälfte sinken könnten. Mittel- und Nordeuropa dagegen gehören zu den potenziellen Gewinnern des Klimawandels, denn stärkere Winterniederschläge und höhere Durchschnittstemperaturen könnten die Agrarproduktion erhöhen. Voraussetzung ist jedoch eine Anpassung der Agrarsysteme an die veränderten Klimabedingungen. Genau diese Aufgabe wird jedoch immer schwieriger, denn die klimatischen Eck- und Extremwerte und nicht der saisonale Mittelwert entscheiden in erster Linie über die Erntemenge und –qualität. Besonders die kontinentalen und südlichen Regionen von Europa leiden jetzt schon unter längeren Trockenperioden in den Sommermonaten. Tatsächlich wurde zum Beispiel für Deutschland kein Ertragsfortschritt in den letzten zehn Jahren bei allen Getreidearten, mit Ausnahme der Wintergerste, in der Praxis festgestellt (siehe http://www.bmelv-statistik.de/de/besondere-ernteermittlung/getreide/).
Vor dem Hintergrund des Klimawandels werden die Stabilisierung der landwirtschaftlichen Erträge sowie Produktivitätszuwächse zukünftig in großem Maße von der Entwicklung neuer, angepasster Kultursorten abhängen. Eine Erfolg versprechende Antwort auf den Klimawandel ist die züchterische Anpassung derzeitiger Kulturpflanzen. So wird voraussichtlich weltweit und regional die Bedeutung von Getreidearten zunehmen, die heute schon ein integraler Bestandteil extensiver Bodenbearbeitungssysteme sind und aufgrund ihres geringen Wasserverbrauchs in Trockenlagen angebaut werden. Hierzu zählen, neben Hybridroggen, vor allem Winter- und Sommergerste.
Gerste
Die Kulturgerste ist nach Mais, Reis und Weizen die viertwichtigste Getreideart der Welt. Laut Angaben der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAOSTAT) wurden im Jahr 2007 weltweit 136 Millionen Tonnen Gerste auf einer Fläche von 56 Millionen Hektar geerntet. Zusammen mit Einkorn und Linse gehört die Gerste zum ältesten Kulturgetreide. Es wird heute davon ausgegangen, dass die Kulturgerste im Gebiet des so genannten Fruchtbaren Halbmondes aus der zweizeiligen Wildgerste Hordeum vulgare L. ssp. spontaneum (C. Koch) Thell. hervorgegangen ist und dass ihre Kultivierung vor etwa 10000 Jahren begann (Abb. 1). Noch heute zeichnet sich die Gerste an ihrem Ursprungsort und in so genannten sekundären Domestikationszentren in Nord- und Ostafrika durch hohe genetische und phänotypische Diversität aus. Tatsächlich ist Gerste das Getreide mit der weitesten geographischen Verbreitung; sie wächst in Trockengebieten Vorderasiens, in Tibet in Höhen von über 4.000 Metern, in den Subtropen und an der Polargrenze des Getreideanbaus. Gerste verfügt somit über ein hohes genetisches Anpassungspotenzial, das für die Züchtung von stresstoleranten Sorten genutzt werden kann. Diese Eigenschaft der Gerste macht sie aber auch interessant für wissenschaftliche Untersuchungen, die zum Verständnis der Stresstoleranz von Pflanzen beitragen können.
Trockenstress
Weltweit ist das Wasserangebot der wichtigste landwirtschaftliche Produktionsfaktor. Zukünftig wird Wasser deshalb der entscheidende Faktor für eine Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion sein. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verknappung der weltweiten Wasserressourcen wird in vielen Ländern an der Entwicklung von Trockenstress toleranten Kulturpflanzen geforscht.
Trockenstresstoleranz ist ein sehr komplexes Merkmal, das von vielen Genen beeinflusst wird. Diese haben unterschiedliche Effekte, die alle dazu dienen, den Ertrag pro Niederschlagsmenge zu erhöhen (Abb. 2). Die genetischen Strategien lassen sich unterscheiden in Vermeidung und Toleranz gegenüber Trockenstress. Eine Vermeidung von Trockenstress erreicht die Pflanze zum Beispiel durch ein verstärktes Wurzelwachstum und verbesserte Wasseraufnahme, verringerte Transpiration über die Blätter, Speichern und Remobilisierung von Reservekohlenhydraten sowie Anpassung des Entwicklungszyklus (siehe unten). Diese Strategien dienen dazu, das Wasserpotenzial in den Blättern aufrechtzuerhalten. Kommt es doch zu einer Reduktion des Wasserpotenzials, entsteht in den Pflanzenzellen ein so genannter osmotischer Stress. Damit verbunden ist eine starke Strapazierung von Makromolekülen und Zellmembranen durch die Verringerung des Zellturgors (osmotischer Innendruck der Zelle) sowie die Erhöhung der Konzentration intrazellulär gelöster Stoffe. Wenn bei akutem Wassermangel die Photosynthese verhindert wird und die Chloroplasten weiterhin starker Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind, kommt es außerdem zur Produktion von Sauerstoffradikalen wie Super- und Peroxiden. Diese schädigen die Zelle, indem sie Enzyme und Zellmembranen direkt angreifen und zerstören.
Trockenstress tolerante Pflanzen können ihre Zellen durch die Synthese von Schutzproteinen vor den veränderten osmotischen Bedingungen schützen. Diese Enzyme sorgen dafür, dass Zellproteine, Membranen und andere Enzyme ihre normale Struktur beibehalten und weiter funktionieren. Außerdem reichert die Zelle osmotisch wirksame Stoffe in der Vakuole an (Prolin, Sorbitol, Glycinbetain). Diese sorgen dafür, dass der Wasserverlust der Zelle so gering wie möglich gehalten wird.
Genetische Vielfalt
Die Fortschritte in der Pflanzengenomforschung ermöglichen es mittlerweile, die molekulare Antwort der Pflanze auf Stress besser zu verstehen und für die Entwicklung Stress toleranter Kulturarten zu nutzen. Die Identifizierung relevanter Gene und Enzyme in dem komplexen Stress-Stoffwechselweg wurde vor allem in der Modellpflanze Arabidopsis thaliana vorangetrieben [1]. Die Stressforschung an Arabidopsis in Klimakammer- und Gewächshausversuchen liefert wertvolle Erkenntnisse über Stressphysiologie und Genetik. Für eine Anwendung in der Getreidezüchtung müssen diese Erkenntnisse jedoch zunächst an Kulturpflanzen und im Feld getestet werden. Auch in Deutschland werden nun in zunehmendem Maße Projekte gefördert, deren Ziel es ist, die Stressanpassung in Kulturpflanzen zu erforschen. Hier spielen, neben transgenen Ansätzen, die Identifizierung und Nutzung natürlicher genetischer Diversität im Genpool der Kulturarten eine große Rolle.
Die Domestifikation unserer heutigen Kulturpflanzen vor circa 10000 Jahren und die systematische Pflanzenzüchtung hochertragsreicher Sorten seit Beginn des letzten Jahrhunderts haben zu einer Einengung der genetischen Variation in den Elitesorten geführt. Evolutionsgeschichtlich gesehen, ist diese Zeitspanne jedoch gering, und die exotischen Vorfahren unserer heutigen Kulturarten lassen sich meist noch mit diesen kreuzen und stellen somit eine bedeutende genetische Ressource dar [2].
Gerstenforschung am Max-Planck-Institut
Die Gerstenforschung spielt schon seit langem eine große Rolle am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln. Seit neuestem wird die Gerste auch genutzt, um molekulare Anpassungsmechanismen an Trockenstress zu untersuchen. Da die Gerste eine hohe genetische Ähnlichkeit zu anderen Getreidepflanzen aufweist, können diese Erkenntnisse auch auf andere Kulturpflanzen, wie etwa Weizen, übertragen werden. Das Institut verfügt über eine umfangreiche Sammlung von Wildgersten und Landrassen aus der ganzen Welt [3]. Diese werden genutzt, um definierte Kreuzungen beispielsweise zwischen deutschen Gerstensorten und Landrassen von Trockenstandorten am Ursprungsort der Kulturgerste, dem Nahen Osten, durchzuführen. Vorteilhafte Genformen der Landrassen werden so in unsere Elitegersten eingekreuzt. Außerdem können mithilfe von molekularen Markern Regionen im Gerstengenom identifiziert werden, die zu einer verbesserten Trockentoleranz beitragen. Obwohl, im Gegensatz zum Reis, die Genomsequenz der Gerste noch nicht vorliegt, erlaubt die Syntenie (die Ähnlichkeit von Genen und deren Reihenfolge auf den Chromosomen) zwischen Gerste und Reis, die Gene selbst zu identifizieren.
Um im Feld die Anpassungsstrategien der Gerste an Trockenheit zu bestimmen, kooperieren die Max-Planck Wissenschaftler mit dem Center for Agricultural Research in the Dry Areas (ICARDA) in Syrien. Dieses ist eines der internationalen Agrarforschungszentren der Consultative Group on International Agricultural Research (CGIAR) und besitzt das globale Mandat für Forschung an Gerste und Agrarproduktion in semi-ariden Gebieten. Gerstenkreuzungen werden in langjährigen Feldversuchen in Syrien, Jordanien und im Libanon unter trockenen Umweltbedingungen getestet und nachfolgend detaillierten genetischen Studien am Max-Planck-Institut unterzogen. Diese Studien sollen Gene und Genregionen identifizieren, die die agronomische Leistung von Gersten unter trockenen Bedingungen steigern. Diese Erkenntnisse liefern auch wertvolle Informationen für die Züchtung von Kulturpflanzen, die an veränderte Klimabedingungen in Mitteleuropa angepasst werden müssen. Erste Ergebnisse zeigen zum Beispiel, dass die Anpassung des Entwicklungszyklus der Pflanze an die Umwelt gerade an trockenen Standorten eine große Rolle spielt (Abb. 3; [4]). Diese Erkenntnis kam nicht unerwartet, denn die Anpassung des Entwicklungszyklus an verschiedene Agrarökosysteme ist die Grundlage für die weltweit erfolgreiche Kultivierung einer Hand voll Kulturarten. Kenntnisse über die Gene, die in diese Entwicklungsprozesse involviert sind, ermöglichen ihre gezielte Beeinflussung, um Kulturpflanzen optimal an die neuen Klimabedingungen, zum Beispiel trockenere Sommer in Mitteleuropa, anzupassen.
Molekularbiologie des Entwicklungszyklus der Gerste; Ausblick
Gerste wächst in Deutschland einjährig als Sommergerste oder, wie auch im Mediterranen Raum, überjährig als Wintergerste. Besonders in südlichen, trockenen Regionen zeichnet sich die Gerste durch eine rasche Blütenbildung im Frühling aus. Diese sorgt dafür, dass die Gerste ihre Entwicklung vor dem Einsetzen der Sommerhitze abgeschlossen hat. In den gemäßigten Breiten erfolgt die Entwicklung langsamer, was der Gerste wiederum erlaubt, die lange Wachstumsperiode auszunutzen (Abb. 4). Diese unterschiedlichen Entwicklungsstrategien sind genetisch festgelegt und erfolgen in Abhängigkeit von Tageslichtlänge und Temperatur. Das dominante photoperiod response Gen Ppd-H1 löst in der Wintergerste die Blütenbildung bei einer Zunahme der Tageslänge im Frühling aus. Gleichzeitig lässt das Vernalisationsgen Vrn-H2 als Antagonist zu Ppd-H1 nur eine Blütenbildung zu, wenn die Pflanze vorher einem ausreichenden Kältereiz ausgesetzt war. In der Sommergerste hingegen fehlt das Gen Vrn-H2 ganz, und das Ppd-H1-Gen ist in Folge einer Mutation nicht funktional. Nun sind in der Gerste eine große Anzahl weiterer Gene am Übergang vom vegetativen zum generativen Stadium beteiligt, deren Natur und/oder Funktion jedoch noch unbekannt sind. Wissenschaftler am Institut nutzen die natürliche genetische Variation der Gerste und Informationen aus der Modellpflanze Arabidopsis thaliana, um den Stoffwechselweg, der zur Blüteninduktion führt, weiter zu entschlüsseln. Diese Kenntnisse werden in Zukunft helfen, Kulturpflanzen gezielt an die veränderten globalen Klimabedingungen anzupassen.